Rezensionen

Christoph Bauer

Es gibt im Werk von Beate Bitterwolf keine Arbeit, die nicht getragen ist von der der Farbe und vom Einsatz weiterer Malmittel im Bilde. Ganz gleich, ob die Künstlerin nun malt, zeichnet, aquarelliert oder collagiert – fast immer sind es zuerst die großflächig angelegten, farbigen Felder, welche die Wirkung bestimmen und die Bilder grundlegend bauen. Dabei sind diese Farbfelder nie bloß Mittel, sondern selbst wiederum Stoff der Malerei von Beate Bitterwolf: „Am wichtigsten ist mir die Farbe; sie ist der Humus, aus dem heraus das Bild wächst.“ Ihre Vision der Farbe siedelt die Malerin an auf dem schmalen Grat zwischen der Lichterscheinung der Farbe einerseits, die sich in ihrer Bewegung auf den Betrachter zu von der Materie abzulösen sucht, und, andererseits, der Reflexion über die Materialität, Textur und Faktur der Farbe, wodurch umgekehrt die Materialität der Mittel in den Blick rückt. Ausgiebig mengt Beate Bitterwolf den gängigen Malmaterialien und Bindern, die sie selbstverständlich auch einsetzt, ihre reinen Pigmente, Sande, Steinmehle, Papiere usw. bei. Die Weite dieses sinnlichen Ansatzes lässt den Betrachter die farbigen Felder, die sich überlappen und überdecken, stoßen und vermengen, unterschiedlich wahrnehmen: als Farbfluss und Bewegung, Farb- oder Leuchtlicht, Dunkelheit, erfahrbaren Raum, vereinzelt als Tiefe, dann wieder als geschlossene Oberfläche, reliefierte Haut, anlagernde Schicht, strukturierte Materie. In neueren Arbeiten lässt die Malerin ihre Farbfelder auch wetteifern mit größeren, in ihrer Anlage kontrastierend ins Bild eingefügten Materialfeldern.

Dann, in einem zweiten Schritt, lagert Beate Bitterwolf in und zwischen diese Felder weitere Linien und Formen ein. Überblickt man das bislang entstandene Werk, so kann von einem ganzen Repertoire zeichenhafter Formen und Linien gesprochen werden, das sich die Künstlerin – dabei in Analogie zur Natur und geschauten Außenwelt gestaltend – erarbeitet hat. Immer wieder erinnern diese an Knospen, Kapseln und Keime, Blattformen unterschiedlichster Art, Balken, Gespinste und geschichtete Böden; kurz: ein vielfältig geknüpftes Netz landschaftlicher Bezüge entsteht, indem sich der Betrachterblick verfängt. Seit dem Umzug Beate Bitterwolfs 2006, von Stuttgart nach Horn auf die Bodenseehalbinsel Höri, kommen weitere Formen hinzu, die an Landungsstege, Ufer, Wellen und Boote erinnern. Die eingelagerten, gegenüber den Farbfeldern eher zeichnerisch angelegten Formen sind für die Erscheinung und Wirkung dieser Bilder wichtig. Kraftzentren gleich, von denen Richtungen und Prozesse ausgehen, setzen sie das innere Gefüge der Bilder in Bewegung: „Naturprozesse, Atmosphärisches, Wachsen, Vergehen, Form, die sich bildet und auflöst; das sind meine Grundthemen, und immer sind es Metaphern für das Leben, die Bandbreite der Gefühle und Erfahrungen.“

Immer noch verbindet sich mit dem Begriff „Bild“ die Vorstellung von einem Fenster, hinter dem sich – vermeintlich – die Welt öffnet. Traditionell werden Bilder als feste, statische Größen aufgefasst. Beate Bitterwolfs Arbeiten dagegen wollen selbst offene, labil balancierte, von inneren Kräften bewegte, kaum je stabilisierte Gefüge sein, die Einsichten vermitteln in das Veränderliche und Zeitliche, Bewegliche und Fließende natürlicher – und das heißt für Beate Bitterwolf immer auch gestalterischer – Prozesse. „Ich warte darauf, dass es“, das Bild, „sich entschlüsselt“, sagt sie.

© Christoph Bauer