Rezensionen

Dr. Ute Hübner

Angekommen im Süden. Wasserräume – Halbinselland
Zu den neuen Bildern von Beate Bitterwolf

Beate Bitterwolf lebt seit 2006 in Horn auf der Halbinsel Höri am Untersee. Aus Stuttgart kommend hat sie dort mit ihrer Familie einen Ort gefunden, der in direkter Natur- und Ufernähe Blicke auf den Bodensee eröffnet und ein ideales Umfeld für ihre künstlerische Tätigkeit bietet. Ihre Neugier gilt dem Veränderlichen, Beweglichen und Fließenden. Das Wasser in seinen unterschiedlichsten Erscheinungsformen sowie die Uferzonen, sei es in ihrer Unberührtheit, aber auch mit den Relikten der Menschheit, wie Boote, Stege oder Brücken inspirieren die Künstlerin zu ganz eigenen Formulierungen in ihren neueren Werkzyklen.

Die von Beate Bitterwolf für ihre Kunst und als Ausstellungstitel gewählte Bezeichnung „Angekommen im Süden. Wasserräume – Halbinselland“ verweist auf die komplexen Verflechtungen zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem, von Realität und Wahrnehmung und den individuellen Empfindungen bei der Annäherung an die neue Umgebung.

Dabei sperrt sich Ihre Kunst meist figürlicher bzw. gegenständlicher Zuschreibung. Es geht ihr nicht um das Identifizieren von wiedererkennbaren Dingen oder Örtlichkeiten. Dennoch ist etwas darin, das den Betrachter glauben macht, hinter der Erscheinung noch eine Wirklichkeitsebene aufdecken zu können. Dieses „etwas“ gibt vielen Arbeiten einen Hauch von Geheimnis.

Mit den aus der Natur entlehnten Formen, die Beate Bitterwolf in unterschiedlichen Abstraktionsgraden präsentiert, verrätselt die Künstlerin die Wirklichkeit.

Ihre Bilder verschließen sich dem Auge des Betrachters jedoch nicht. Groß und offen kommen sie ihm entgegen, mit starken Farben, bewegten Oberflächen. Der Blick wird eingefangen von der Großzügigkeit der Komposition ebenso wie von der vollendeten Durcharbeitung des Sujets.

In diese Richtung geht eine der ersten Werkgruppen mit Bezug auf das neue Umfeld. Arbeiten auf Papier, in differenzierten Blautönen gehalten, in denen das Verhältnis von Fläche und Raum beherrschend ist. „Wasserräume“ – haltlos, bewegt, ohne Verweis auf Organisches.

Die Bilder entfalten sich primär aus der Farbe. Aus auf- und abschwellenden Farbwerten, die übereinander, ineinander und miteinander wirken, schafft die Künstlerin einen imaginären Raum. Unterstützt wird die geheimnisvolle Entfremdung durch bewegte Malgeste und gefühlsmäßig gesetzte Farbstrukturen. Die Darstellungen erheben nicht den Anspruch auf inhaltliche Bezüge oder Aussagen. Sie lassen dem Betrachter dagegen hinreichend Spielraum für eigene Assoziationen und Gedanken.

Beate Bitterwolf erarbeitet neue Bildwelten nicht nur mit dem Pinsel. Auch die Zeichnung gewinnt einen bedeutenden Stellenwert. Mit Kohle, weißer Pastellkreide und Graphit entstehen kleinformatige Arbeiten, in denen sie den Landschaftsraum erfasst, bei Tageslicht und bei Dunkelheit, der weiße oder schwarze Untergrund steht für die jeweilige Tageszeit.

Oft sind es nur dünne, wie flüchtig hingeworfene Liniengespinste, dann wieder eine in dicken schwarzen Strichen aufgetragene, rätselvolle Zeichensprache. Die Künstlerin minimalisiert diese Formen und Zeichnungen bis hin zur Primitivität, ja stellenweise bis zur Auflösung, gleichwohl gibt es Analogien zu gegenständlichen Elementen – Formen, die an Boote, Fragmente von Architektur erinnern oder Spuren und Strukturen ausschnitthafter Naturszenerien.

Im Zusammenhang der Polaritäten Schwarz und Weiß, dunkel und hell, Linie oder Fläche erwecken die Zeichnungen den Eindruck des Schwebenden, Labilen, aber auch Vorwärtsdrängenden.

Offenkundig ist, dass die Zeichnungen fragmentarischen Charakter haben, dass sie eine Weiterführung brauchen.

In den nachfolgenden Leinwandbildern, auf denen sich durchaus so etwas wie eine motivische Verbindung herstellen lässt, ergeben sich Anknüpfungen, aber auch ein Wiederfinden des Fadens, die Möglichkeit des Weiterführens.

Graphisches fließt in die Malerei ein. Die mitunter balkendicken Linien verdichten die malerischen Bildräume, verwandeln sie in Kraftfelder.

Ein Steg, eine Brücke, Balkenfragmente, Elemente die den Zweck verfolgen, ins Bild zu führen, ebenso das Bild zu strukturieren, in dem nun ein oben und unten festgelegt ist.

Ein Steg, der in kulissenhafter Staffelung perspektivisch in die Tiefe leitet. Ein Weg von hier nach dort, von hier nach drüben, eine Bewegung der Transzendenz zwischen Traum und Wirklichkeit.

Trotz Fotos und Zeichnungen in der Natur, arbeitet Beate Bitterwolf frei im Atelier.

Eine Grundthematik der großformatigen Leinwandbilder ist das Bewegen innerhalb eines Farbspektrums. Die facettenreiche Nuancierung der Farbe Rot zeigt sich beispielsweise in dieser Werkschau. In gestisch-dynamischer Farbschichtung, als kräftiges Sandrelief, fast schon teppichartig mischen sich die Farben auf dem Bildgrund, sammeln sich, trocknen, Fließspuren bleiben sichtbar.

Bei ihrer Arbeit liegen die Leinwände auf dem Boden. Beate Bitterwolf arbeitet von allen Seiten und bearbeitet die Bildfläche Schicht um Schicht.

Doch zuvor stellt sie ihre Farben selbst her aus Acrylbinder und reinen Farbpigmenten, dieser Herstellungsprozess birgt eine gewisse Direktheit in der Farbsprache. Es entsteht ein Auf- und Absickern von Lichtwerten, ein Schwebezustand. Die Flächen wirken im optischen hin- und her beunruhigend und doch gleichzeitig maßvoll.

Als Grundierung der Leinwände dienen verschiedene Sandsorten und Steinmehle. „Das ist der erdige Teil, das physische der Malerei“ so beschreibt die Künstlerin diesen Prozess, „durch den Sand und die Farblasuren entsteht ein reliefartiges Tiefenlicht und durch den wässrigen Auftrag arbeite ich direkt mit dem fließenden Element. Das ist ein wichtiger Aspekt meiner Arbeit und ich habe den Eindruck, dass ich hier am See nun lebend, näher an die Elemente gezogen bin, die sich in meiner Arbeit materialisieren.“

Die Farben sind flüssig. Beim Malen wird der Bildträger wiederholt angehoben, geschwenkt, gekippt. Aus einer Balance von Gesteuertem und Zufälligem entstehen Farbflüsse, Farbläufe, organische Formen. Das Drehen bestimmt mal dieses, mal jenes Gewicht.

Beharrliches und schrittweises Experimentieren mit formalen und stilistischen Varianten sowie unterschiedlichen Mischtechniken führen in Verbindung von Phantasie aber auch Spontaneität zu neuen bildnerischen Ausdrucksmöglichkeiten bis hin zum Atmosphärischen.

Im Rhythmus von bewegteren und stilleren Partien, von kräftigen Akzenten und verhaltener Spur manifestiert sich das Werk zunächst als Einheit. Wie differenziert die einzelnen Elemente jeweils sind und wie ihre Übergänge sich genau definieren, bleibt dem ersten Eindruck verborgen.

Die Künstlerin stellt dem Betrachter durchgearbeitetes Farbmaterial vor Augen. Dichte Farben, schorfige, schrundige bis aufgebrochene Oberflächen, aber auch gespannte bis samtige Farbhäute – aus diesen haptisch und visuell reizvollen Strukturen beziehen die Arbeiten ihre unmittelbare sinnliche Wirkung.

Während Beate Bitterwolf ihrem Gestaltungsprinzip treu bleibt, wiederholen sich ihre Bilder nicht. Sie insistiert eher auf ihrem experimentellen Ansatz. Es geht ihr darum, gängige Darstellungsarten und Wahrnehmungsschemata zu durchbrechen und so das Bewusstsein auf Besonderheiten dieser Welt zu lenken.

In dieser Ausstellung zeigt sich ein vielfältig geknüpftes Netz von Bezügen, sowohl innerhalb der Bilder als auch zwischen den einzelnen Bildgruppen. Auf allen Ebenen hat das für Beate Bitterwolfs Arbeiten charakteristische Gesetz der Balance Gültigkeit, das Gesetz eines schwebenden, dynamischen, natur-analogen Gleichgewichts aus Intuition und Kalkül.

© Ute Hübner