Rezensionen

Jeanne Berlisz

Nah und Fern

Plantares, Floridez, Horizonte – Natur als Inspiration, dies ist für die im Allgäu geborene und aufgewachsene Malerin Beate Bitterwolf die große Konstante ihrer künstlerischen Arbeit. Die Nahsicht auf die organische Welt der Pflanzeneinerseits, der weite Blick in die Tiefen der Landschaft, der Berge, der Erde andererseits. Ihre Malerei bewegt sich zwischen großflächiger Weite und kleinteiligen malerischen Strukturen. Im Detail wie in der Gesamtschau zeichnet ihre Bilder eine große Vielfalt der Techniken, Strukturen und Bewegungen aus. Es gibt fast immer Querungen und Überschneidungen.Der Formenkanon scheint dem malerischen Prozess entsprungen undvon einer dynamischen Bewegung geleitet zu sein. Das Konzept der Bilder fließt mit den Besonderheiten der Techniken zusammen:fließen, lasieren, pinseln wie Beate Bitterwolf es nennt, abkleben, spachteln, collagieren, schraffieren, schütten – all diese Errungenschaften des Informellen – werden von ihr vielfältigeingesetzt . Diesen Kontext dann verlassend und entgegen den Gesetzen des Informellen-treibt die Künstlerin das Bild weiter in eine Lesbarkeit, eine spezifische Thematik hinein.Der Betrachter sieht: Das Bild will gefunden, erfunden werden,es entwickelt und entfernt sich während des Prozesses. Die Malerin erfindet das Bild ohne es als fixe Idee voranzustellen.

In „Plantares“ und „Floridez“ ist es die organische Farb- und Formenvielfalt, die dem Betrachter in dynamischer Bewegung entgegenkommt. Der Blick schweift über abstrakte Formen, die an Blätter und Blüten erinnern und aus dem Bildgrund heraus entstanden und wieder mit ihm verwoben sind. Seit 1999 gehören Arbeiten aus diesem Themenkreis zum Œuvre von Beate Bitterwolf. Damals begann sie aus vielfältigen Grünmischungen Blätter zu abstrahieren, bevor dann, ab dem Jahr 2000, Blütenabstraktionen sowie winterliche Keimformen in vielen Variationen folgten. Den damaligen Titel „knospen – blühen – welken“ verdichtete sie in 2013zu denknappen Wortschöpfungen„Floridez“ und „Plantares“.

Die „Horizonte“- Arbeiten schließen einen thematischen Kreis, der bereits 1993 angelegt wurde und öffnen damit ein neues Spektrum ihrer aktuellen Arbeit. Damals entwickelte Beate Bitterwolf in Erinnerung an Kindheitseindrücke das Thema der Berge, Steinbrüche und des Wanderers. Diese Bilder wurden nun weiter gearbeitet und sozusagen in dasheutige Ausdrucksspektrum hineinentwickelt. Tiefe und Weite zeichnet diese Arbeiten aus und lassen keinen Zweifel daran, dass es nicht um geografische Landschaften geht. Eine Tiefenkraft, die in ihren weiten Schichtungen der Horizontalen die Frage nach dem Woher und Wohin evoziert, drückt sich in tiefen Blau- und Braun-tönen aus.„Horizonte – Kein Bleiben nirgends“, ein Untertitel, gibt weiteren Aufschluss über die Deutungsmöglichkeit dieser Serie. Die Heimatlosigkeit, das „sich fremdfühlen“in der Welt, schwingt mit, in Anlehnung an Christa Wolfs Roman „Kein Ort. Nirgends“, auch die Situation der Flüchtlingsströme, bzw. das Lebensgefühl so vieler Menschen in der Gegenwart, dass es für Sie an keinem Ort ein Bleiben gibt. Was bedeutet Heimat?

Diese Malerei ist vielschichtig und öffnet unser Sehen und Empfinden für Zwischenräume, führt unter die Oberfläche, die gleichzeitig so faszinierend erscheint. Farbschichten sind wie Sedimente, Schlacken, Ablagerungen, aber letztlich bilden sie den vibrierenden Grund für die Oberfläche des Bildes. Die Malerin spricht von graben, umgraben, ausgraben, der Archäologie gleich, als wäre da etwas Verlorenes oder Geheimes wiederzufinden, auszugraben, zu entdecken? Dahinter steht ein immerwährender Antrieb zu malen, Bilder zu entdecken und den jeweiligen Motiven eine geistige Ebene der Deutung abzuringen.„Plantares“ und„Floridez“ beziehen in diesem Sinne die Erkenntnis von Werden und Vergehen ein, die Horizonte – Bilder die Einsicht, dass es keinen bleibenden Ort hier geben kann, weil nichts von Dauer ist, auch die Berge und Gletscher sind immerwährenden Veränderungen unterworfen. Aber die Bilder strahlen eine positive Grundhaltung aus, das Bedrohliche wird verwandelt, die „Leichtigkeit des Seins“ wurde diesen Bilder abgerungen und eingemalt.

© Jeanne Berlisz